Vermeidungsstrategie als hilfreicher Umgang mit Gefühlen?

Stell dir vor, es ist Sommer und du bist im Freibad. Du hast einen Wasserball und du versuchst ihn unter die Wasseroberfläche zu drücken. Er kommt immer wieder hoch. Du strengst dich richtig an, denn du möchtest den Wasserball unterhalb der Wasseroberfläche ans andere Ende des Schwimmbeckens befördern. Kannst du dir vorstellen, wie anstrengend das sein muss? Was für ein Kraftakt das ist, den Wasserball unter der Wasseroberfläche eine Strecke von 50 Metern zu befördern?

Wasserball als Symbol für die Vermeidungsstrategie von Gefühlen

So anstrengend ist es, wenn wir in unserem Leben vorangehen möchten und dabei unsere Gefühle unterdrücken.

Gefühle wie Traurigkeit, Scham, Angst, Verletzung und Versagen fühlen wir nicht gerne. Sobald sie in uns aufkommen, versuchen wir meistens sie loszuwerden. Und das ist ja auch irgendwie nachvollziehbar. Wir Menschen versuchen, dass was sich ungut anfühlt, was uns Schmerzen bereitet zu vermeiden und loszuwerden.

Jedoch gehören Gefühle zu uns und unserem Leben. Sie sind wichtig, sowohl die angenehmen als auch die unangenehmen.

Das Unterdrücken von Gefühlen kann ganz unterschiedlich aussehen. Und zu wissen, wie es bei einem persönlich aussieht und was die eigene gängige Methode ist, unangenehme Gefühle nicht fühlen zu müssen, kann sehr hilfreich sein. Mit dem Wissen kommen wir Menschen leichter und mit etwas weniger Anstrengung im Leben voran. Denn das, was einem persönlich bewusst ist, kann leichter verändert werden, als das was einem selbst verborgen ist.

Die gängige Art und Weise von uns Menschen mit unangenehmen Gefühlen umzugehen ist, sie zu vermeiden und/oder gegen sie anzukämpfen.

Ziel dabei ist es, die Aufmerksamkeit, die das unangenehme Gefühl fordert, abzulenken. Und das funktioniert mit den unterschiedlichsten Mitteln und Methoden.

  • Es werden Gedanken, Situationen, Menschen und Orte vermieden, die das unangenehme Gefühl auslösen können
  • Situationen oder Gedanken, die das unangenehme Gefühl auslösen, werden verändert
  • Gespräche werden ganz bewusst auf ein anderes Thema gelenkt
  • Man zwingt sich, etwas anderes zu denken
  • Gegen Gefühle ankämpfen, mit ihnen argumentieren,
  • Versuchen Gefühle zu kontrollieren
  • Gefühle wegzuschließen, zu beschließen, nicht mehr zu fühlen
  • Resignieren, stillhalten, sich innerlich „totstellen“
  • Aktionismus, sich in Handlungen stürzen, in die Arbeit stürzen
  • Es anderen recht machen, tun, was andere von einem erwarten, andere nicht enttäuschen
  • Sich dem Perfektionismus hingeben, etwas/alles perfekt machen zu wollen, um unangenehm Gefühle wie Unzulänglichkeit, Versagensangst, … nicht spüren zu müssen
  • Durch Aktionismus ein Gefühl von Kontrolle über die Gefühle aufbauen, auf Handlungen können wir Menschen leichter Einfluss nehmen, als auf die Gefühle, also wird beispielsweise für Prüfungen gelernt, Sport gemacht, die Wohnung aufgeräumt, ….
  • Man lenkt sich ab. Und die Ablenkung ist eine vielfältige Methode, um unangenehme Gefühle nicht zu fühlen. Und zwar Ablenkung in dem Sinne, dass etwas anderes die Aufmerksamkeit einfordert und dadurch das Fühlen in den Hintergrund tritt und nicht wirklich spürbar ist. Ablenkung kann durch Social Media, TV oder Streamingdiensten geschehen. Durch Treffen mit anderen Menschen oder das Ausüben von Hobbys. Essen und Sport können ebenso eine gute Methode sein, um sich abzulenken.
  • Aber auch das Ablenken im eigenen Inneren funktioniert ganz gut. Ganz bewusst an etwas anderes denken, damit mit den Gedanken dann auch andere Gefühle kommen.
  • Auch einer inneren Veränderung der Bewertung oder der Interpretation dessen, was die unangenehmen Gefühle erzeugt, kann manchmal nützlich sein. Sich selbst zu sagen, dass ist nicht so schlimm, ich reagiere über, die andere Person hat es nicht so gemeint, das hat niemand gesehen, …. 

Und oftmals ist es eine Mischung von verschiedenen Methoden, die wir tagtäglich nutzen, um mit unangenehmen Gefühlen klarzukommen.

Diese Methoden und das Verhalten sind nicht pauschal falsch. Genauso wenig, wie es pauschal falsch ist, einen Wasserball unter die Wasseroberfläche zu drücken.

Es gibt Situationen, wo es sehr hilfreich sein kann, die Gefühle in dem Moment nicht spüren zu wollen.

Wenn zum Beispiel ein wichtiges Gespräch ansteht und sich die Gefühle von Anspannung, Nervosität und Unsicherheit durch Weinen Ausdruck verschaffen möchten. Dann kann es sehr hilfreich sein, sich abzulenken, an etwas anderes zu denken, Gedanken zu haben, wie „Ich bin gut vorbereitet! Ich habe das in der Vergangenheit auch geschafft!“ oder den Fokus au die Handlung zu legen „Was macht der Körper, wie fühlt sich der Atem an?“

Wichtig ist jedoch zu unterscheiden, werden die Gefühle für eine kurzfristige Zeit unterdrückt, weggeschoben und nicht gefühlt? Oder ist es ein langfristiges Muster? Dürfen diese Gefühle sich nach der Situation ausdrücken? Oder müssen sie nach wie vor unter der Wasseroberfläche bleiben?

Gefühle dauerhaft zu unterdrücken birgt einige Risiken. Es braucht viel Energie, Zeit und Anstrengung. Es ist sehr zermürbend langfristig Gefühle zu vermeiden. Hinzukommt, dass es unseren Körper und unserer Seele krank macht. Gefühle wollen gelebt und wahrgenommen werden. Geschieht das nicht, versetzt es den Menschen in Stress. Und dauerhafter Stress macht bekanntlich krank. Sowohl den Körper als auch die Seele.

Ein anderes Risiko ist das Zwischenmenschliche. Werden Gefühle in Beziehungen nicht ausgedrückt und mitgeteilt, kann das Gegenüber einen nicht wirklich kennen lernen. Die andere Person bekommt einen nicht wirklich mit. Dadurch fühlt man sich nicht gesehen und wahrgenommen. Durch das eigene Nicht-wahrnehmen und Ausdrücken der Gefühle, hat die andere Person deutlich geringere Chancen, einen selbst kennenzulernen, zu verstehen und wahrzunehmen.

Aber warum ist es so wichtig, die eigenen Strategien kennen zu lernen, wie man mit Gefühlen umgeht?

 Ziel ist und für uns Menschen als hilfreich erlebt wird, wenn wir uns mit unseren Verhaltensmustern flexibel entscheiden können. Es geht darum, das eigene Standardprogram aufzulösen. Rauszukommen aus dem automatischen Verhaltensmuster, rein in die Freiheit, sich entschieden zu können, wie man in welcher Situation mit welchem Gefühl umgehen möchte. Raus aus der selbstverständlichen Vermeidungsstrategie, rein in die Freiheit und Entscheidungsmöglichkeit, anders mit den Gefühlen umzugehen.

Dafür braucht es jedoch vorher das Wissen und das Bewusstsein um die eigene persönlich gängige Methode.

Was ist dein gelerntes, einprogrammiertes Standardprogramm? Geht es dir gut damit? Welche Auswirkungen hat es auf deine Beziehungen? Welchen Effekt hat es auf dein persönliches Wohlbefinden und deine eigene mentale Gesundheit? Wie wirkt es sich in Bezug auf deine Beziehung zu Jesus und auf deine Wahrnehmung, wie er dich sieht aus?

Achtung:

Beruhigungsmittel, Alkohol, Drogen und selbstverletzendes Verhalten sind ebenfalls sehr effektive Mittel, um ungewollte Gefühle nicht spüren zu müssen. Allerdings zahlt man mit diesen Methoden einen sehr hohen Preis. Diese halte ich auch in Ausnahmesituation NICHT für hilfreiche Methoden.

Gehören diese Vermeidungsstrategien jedoch zu der eigenen Bewältigungsstrategie, ist es sehr schwer, allein ohne Unterstützung und Hilfestellung aus diesen Mustern auszubrechen. Da kann eine psychologische Beratung oder auch Therapie sehr hilfreich sein.

Vermeidungsstrategie als hilfreicher Umgang mit Gefühlen

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